Ja, ich darf Sie recht herzlich begrüßen. Mein Name ist Philipp Rau. Ich bin Mitarbeiter
am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin in Erlangen. Und das Thema meines heutigen
Vortrages ist Krank durch den Krieg, der Umgang mit psychisch kranken Soldaten in Deutschland
vom Ersten Weltkrieg an bis heute. Das ist sozusagen ein Überblick über, wenn man so
will, knapp 100 Jahre, wie der therapeutische Umgang mit psychisch kranken Soldaten war,
wie aber auch der versorgungsrechtliche Umgang, der sozialpolitische Umgang mit den psychisch
kranken Soldaten nach dem Krieg in den jeweiligen Nachkriegsgesellschaften der Weimarer Republik,
des Nationalsozialismus und der Bundesrepublik war. Ganz zum Schluss schlage ich auch noch
einen Bogen zu dem Umgang mit psychisch kranken Soldaten, deutschen Soldaten, die aus Afghanistan
zurückkommen und frage danach Kontinuitäten, aber auch Unterschieden, die sich aus der
psychiatriehistorischen Perspektive auftun. Das Erleben psychisch belastender Situationen
gehört zum Alltag von Soldaten in kriegerischen Auseinandersetzungen. Dass diese darauf mit
anhaltenden seelischen Störungen reagieren, ist spätestens seit dem Ersten Weltkrieg
bekannt. Seitdem hat jeder Krieg eine eigene Konstellation, eigene Symptomatiken an psychischen
bzw. psychosomatischen Erkrankungen hervorgebracht. War im Ersten Weltkrieg von den Kriegshysterikern,
den Kriegsneurotikern die Rede, so blieben die im Zweiten Weltkrieg weitestgehend aus.
Stattdessen war es eher eine psychosomatische Symptomatik, es ist eher von den Organneurosen
die Rede. Im Nachgang zum Vietnamkrieg ist verstärkt von den posttraumatischen Belastungsstörungen
bei Soldaten die Rede. Das ist ein Krankheitsbild, mit dem sich in den letzten Jahren auch
die Bundeswehrpsychiater konfrontiert sahen, immer mehr Soldaten, die insbesondere aus
dem Afghanistan-Einsatz zurückkehrten, litten an dieser Symptomatik. Die Frage, ob es die
brutalen und beängstigten Erlebnisse während des Kriegsdienstes sind, die für den Ausbruch
psychischer Erkrankungen bei Soldaten verantwortlich zeichnen, erscheint auf den ersten Blick
leicht zu beantworten. Ein psychiatriehistorischer Blick auf den Umgang mit psychisch kranken
Kriegsveteranen seit dem ersten Weltkrieg zeigt jedoch, dass es um diese Frage stets
heftige Diskussionen und Kontroversen gab. Also es geht im Prinzip, was den versorgungsrechtlichen
Umgang mit psychisch kranken Soldaten angeht, immer um die zentrale Frage, ist die Erkrankung
des Soldaten eine Folge seines Kriegsdienstes, eine Folge seines Kriegserlebnisses oder nicht.
Das ist sozusagen die zentrale Frage, das ist eine Kontinuität, die in verschiedenen
Systemen immer anders beantwortet wurde. Zunächst aber hat man überhaupt nicht damit
gerechnet, dass das ein Problem ist, sich mit psychisch kranken Soldaten auseinanderzusetzen.
Der erste Weltkrieg brachte für die Militärpsychiater, wenn man so will, eine große Überraschung.
Schon kurz nach dem Beginn des ersten Weltkrieges trat ein Krankheitsbild auf und zwar massenhaft
die sogenannten Kriegszitterer oder Kriegsneurotiker oder auch Kriegshysteriker genannt, also Soldaten,
die durch die Erlebnisse im ersten Weltkrieg das Zittern begannen, die plötzlich sozusagen
von den Kriegserlebnissen, die Kriegserlebnisse verschlugen ihnen die Sprache, sie litten
an funktioneller Stummheit, sie wurden taub, sie hatten sozusagen panische Angst und waren
nicht weiter kriegsdienstfähig. Das war ein massenhaftes Phänomen, der Kriegshysteriker
ist gewissermaßen ein Schiffre des ersten Weltkrieges, dass der psychisch überforderte
Soldat wurde zu einem Symbol des ersten Weltkrieges. Insgesamt gab es laut Sanitätsbericht des
ersten Weltkrieges ca. 600.000 Soldaten, die während dem ersten Weltkrieg psychisch
erkranken. Die Gründe dafür, der erste Weltkrieg offenbarte das Zerstörungspotenzial eines
modernen Krieges auf erschreckende Art und Weise und der erste Weltkrieg war insofern
eben eine Zäsur, weil es ein moderner Krieg war, weil es eine moderne Kriegsführung war,
die man vorher in dieser Art und Weise nicht kannte. Der erste Weltkrieg war kein heroischer
Ritterkampf, wo man auszog und glaubte bis Weihnachten wieder zu Hause zu sein, sondern
es war ein maschinelles Zerfetzen, ein millionenfaches maschinelles Zerfetzen. Das ist sicherlich
sozusagen der Grund in der neuen Kriegsführung, guckt man sich es genauer an, dann traten
die Kriegsneurosen in erster Linie an der Westfront auf und das hatte damit zu tun,
dass an der Westfront, anders als im Osten, wo es mehr ein Bewegungskrieg war, an der
Presenters
Philipp Rauh
Zugänglich über
Offener Zugang
Dauer
00:39:52 Min
Aufnahmedatum
2015-11-26
Hochgeladen am
2015-11-26 12:28:27
Sprache
de-DE