1 - Jenseits des Tellerrands - Krank durch den Krieg [ID:5719]
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Ja, ich darf Sie recht herzlich begrüßen. Mein Name ist Philipp Rau. Ich bin Mitarbeiter

am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin in Erlangen. Und das Thema meines heutigen

Vortrages ist Krank durch den Krieg, der Umgang mit psychisch kranken Soldaten in Deutschland

vom Ersten Weltkrieg an bis heute. Das ist sozusagen ein Überblick über, wenn man so

will, knapp 100 Jahre, wie der therapeutische Umgang mit psychisch kranken Soldaten war,

wie aber auch der versorgungsrechtliche Umgang, der sozialpolitische Umgang mit den psychisch

kranken Soldaten nach dem Krieg in den jeweiligen Nachkriegsgesellschaften der Weimarer Republik,

des Nationalsozialismus und der Bundesrepublik war. Ganz zum Schluss schlage ich auch noch

einen Bogen zu dem Umgang mit psychisch kranken Soldaten, deutschen Soldaten, die aus Afghanistan

zurückkommen und frage danach Kontinuitäten, aber auch Unterschieden, die sich aus der

psychiatriehistorischen Perspektive auftun. Das Erleben psychisch belastender Situationen

gehört zum Alltag von Soldaten in kriegerischen Auseinandersetzungen. Dass diese darauf mit

anhaltenden seelischen Störungen reagieren, ist spätestens seit dem Ersten Weltkrieg

bekannt. Seitdem hat jeder Krieg eine eigene Konstellation, eigene Symptomatiken an psychischen

bzw. psychosomatischen Erkrankungen hervorgebracht. War im Ersten Weltkrieg von den Kriegshysterikern,

den Kriegsneurotikern die Rede, so blieben die im Zweiten Weltkrieg weitestgehend aus.

Stattdessen war es eher eine psychosomatische Symptomatik, es ist eher von den Organneurosen

die Rede. Im Nachgang zum Vietnamkrieg ist verstärkt von den posttraumatischen Belastungsstörungen

bei Soldaten die Rede. Das ist ein Krankheitsbild, mit dem sich in den letzten Jahren auch

die Bundeswehrpsychiater konfrontiert sahen, immer mehr Soldaten, die insbesondere aus

dem Afghanistan-Einsatz zurückkehrten, litten an dieser Symptomatik. Die Frage, ob es die

brutalen und beängstigten Erlebnisse während des Kriegsdienstes sind, die für den Ausbruch

psychischer Erkrankungen bei Soldaten verantwortlich zeichnen, erscheint auf den ersten Blick

leicht zu beantworten. Ein psychiatriehistorischer Blick auf den Umgang mit psychisch kranken

Kriegsveteranen seit dem ersten Weltkrieg zeigt jedoch, dass es um diese Frage stets

heftige Diskussionen und Kontroversen gab. Also es geht im Prinzip, was den versorgungsrechtlichen

Umgang mit psychisch kranken Soldaten angeht, immer um die zentrale Frage, ist die Erkrankung

des Soldaten eine Folge seines Kriegsdienstes, eine Folge seines Kriegserlebnisses oder nicht.

Das ist sozusagen die zentrale Frage, das ist eine Kontinuität, die in verschiedenen

Systemen immer anders beantwortet wurde. Zunächst aber hat man überhaupt nicht damit

gerechnet, dass das ein Problem ist, sich mit psychisch kranken Soldaten auseinanderzusetzen.

Der erste Weltkrieg brachte für die Militärpsychiater, wenn man so will, eine große Überraschung.

Schon kurz nach dem Beginn des ersten Weltkrieges trat ein Krankheitsbild auf und zwar massenhaft

die sogenannten Kriegszitterer oder Kriegsneurotiker oder auch Kriegshysteriker genannt, also Soldaten,

die durch die Erlebnisse im ersten Weltkrieg das Zittern begannen, die plötzlich sozusagen

von den Kriegserlebnissen, die Kriegserlebnisse verschlugen ihnen die Sprache, sie litten

an funktioneller Stummheit, sie wurden taub, sie hatten sozusagen panische Angst und waren

nicht weiter kriegsdienstfähig. Das war ein massenhaftes Phänomen, der Kriegshysteriker

ist gewissermaßen ein Schiffre des ersten Weltkrieges, dass der psychisch überforderte

Soldat wurde zu einem Symbol des ersten Weltkrieges. Insgesamt gab es laut Sanitätsbericht des

ersten Weltkrieges ca. 600.000 Soldaten, die während dem ersten Weltkrieg psychisch

erkranken. Die Gründe dafür, der erste Weltkrieg offenbarte das Zerstörungspotenzial eines

modernen Krieges auf erschreckende Art und Weise und der erste Weltkrieg war insofern

eben eine Zäsur, weil es ein moderner Krieg war, weil es eine moderne Kriegsführung war,

die man vorher in dieser Art und Weise nicht kannte. Der erste Weltkrieg war kein heroischer

Ritterkampf, wo man auszog und glaubte bis Weihnachten wieder zu Hause zu sein, sondern

es war ein maschinelles Zerfetzen, ein millionenfaches maschinelles Zerfetzen. Das ist sicherlich

sozusagen der Grund in der neuen Kriegsführung, guckt man sich es genauer an, dann traten

die Kriegsneurosen in erster Linie an der Westfront auf und das hatte damit zu tun,

dass an der Westfront, anders als im Osten, wo es mehr ein Bewegungskrieg war, an der

Teil einer Videoserie :

Presenters

Philipp Rauh Philipp Rauh

Zugänglich über

Offener Zugang

Dauer

00:39:52 Min

Aufnahmedatum

2015-11-26

Hochgeladen am

2015-11-26 12:28:27

Sprache

de-DE

Krank durch den Krieg - Jenseits des Tellerrands. Mittagsvorträge zur Geschichte und Ethik der Medizin

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